Interview mit Vera Kohlmeyer-Kaiser

Als Anwältin Menschen und Familien eine Zukunft geben

Vera Kohlmeyer-Kaiser ist seit 1978 als Rechtsanwältin in Aalen tätig. Sie ist Fachanwältin für Steuerrecht und hat sich zudem im Bereich Ausländer- und Asylrecht spezialisiert. Sie ist Vorstandsmitglied des Flüchtlingsrats Baden-Württemberg und Mitglied der Rechtsberaterkonferenz – ein Zusammenschluss von Spezialist_innen im Aufenthalts- und Asylrecht der Diakonie Deutschland, des Deutschen Caritasverbands, des Paritätischen Gesamtverbands und des Deutschen Roten Kreuzes. Im Interview erzählt sie, was sie in ihrem Beruf motiviert.

Warum haben Sie sich entschieden, als Anwältin für den Bereich Ausländer- und Asylrecht zu arbeiten?

Mir war immer wichtig, dass man individuell für die Durchsetzung von Rechten kämpft. Irgendjemand muss an der Front geltendes Recht im Einzelfall durchsetzen. Das geht mit gutem Equipment und gutem Wissen als Anwalt am leichtesten.

Kann man Rechte nicht besser in einer Menschenrechtsorganisation verteidigen?

Für mich geht es nicht um besser oder schlechter. Es wird unterschiedlich gearbeitet. Die Arbeit in einer Menschenrechtsorganisation ist allgemeiner. Da wird kollektiv gearbeitet und mit großem Theorieschwerpunkt. Während Sie in der eigenen Kanzlei individuell und in der Praxis arbeiten. Aber auch der Einzelfall kann eine allgemeinere Bedeutung bekommen, wenn man ihn zum Bundesverfassungsgericht oder zum Europäischen Gerichtshof hochtreibt. Dabei ist es hilfreich, sich in seinem Netzwerk mit anderen Kollegen auszutauschen und zu beraten. Denn sie müssen die richtigen Fälle hochtreiben. Sonst bekommen sie plötzlich ein Signal vom Gericht, das sie nun gar nicht wollten.

Was motiviert Sie für Ihre Arbeit?

Die Einzelfallarbeit als Anwalt ist für mich unvergleichlich befriedigend. Denn ich setze mich für etwas ein, dass einem Menschen oder einer Familie eine Zukunft gibt. Das spiegeln ihnen die Menschen auch zurück – teilweise Jahre und Jahrzehnte lang. Sie bekommen direktes Feedback, wenn sie erfolgreich sind oder auch nicht. Und dann geht es darum, neue Wege zu finden, die zur Lösung führen. Zudem lerne ich unglaublich viel über andere Länder, ihre Geschichte und die politischen Entwicklungen. In meiner Berufszeit habe ich Menschen aus 33 verschiedenen Ländern vertreten.

Man hört oft: Eigene Kanzlei und Familienleben passt nicht zusammen. Wie sehen Sie das?

Ich habe in den 70er Jahren Jura studiert. Zu der Zeit war es tatsächlich so, dass der Beruf der Anwältin nur schwer mit einer Familie und Kindern vereinbar war. Das hat sich inzwischen deutlich geändert und sehr verbessert. Es gibt Anwaltskollektive, beispielsweise bei Petra Haubner, die Anwältinnen mit Kindern große Unterstützung bieten – durch kollegialen Rückhalt und Zeit-Arrangements. Außerdem haben wir heute ganz andere technische Möglichkeiten. Ich kann in meiner Kanzlei sitzen oder ich diktiere zu Hause meine Fälle und schicke sie per Mail ans Sekretariat. Also, es hat sich wirklich viel verbessert. Aber die Voraussetzung ist immer, dass der Partner die Entscheidung mitträgt.

Wie schafft man den Start im Ausländer- und Asylrecht?

Wenn sie heute Anwalt oder Anwältin im Flüchtlings- und Migrationsrecht werden wollen, haben sie hervorragende Startchancen. Die gab es in den letzten 30, 40 Jahren nicht in dieser Form. Früher musste man sich in Kanzleien einkaufen oder ganz kaufen. Man musste sich mühsam irgendwie hocharbeiten. Gerade im Bereich Migrationsrecht werden sie heute als Jurist von Kanzleien mit Kusshand aufgenommen. In den Kanzleien werden sie eingearbeitet und haben eine ganze Plattform an Wissen: Die bekommt man kostenlos geliefert.

Was raten sie jungen Jurastudierenden, die sich für den Bereich Migrationsrecht interessieren?

Zwei Dinge, erstens: Machen Sie Praktika bei spezialisierten Kanzleien und sammeln Sie Praxiserfahrung. Zweitens: Eignen Sie sich betriebswirtschaftliches Wissen für das Führen einer Kanzlei an. Sie müssen wissen, was Betriebsausgaben sind, wie Lohnbuchhaltung funktioniert und was man steuerlich absetzen kann. Sie müssen im Prinzip auch einen Businessplan erstellen können. Das bekommt man in der Juristerei nicht beigebracht. Der Vorteil darin ist: Ich weiß immer tagesaktuell, was in meiner Kanzlei los ist. Eins ist jedoch klar: Wer reich werden will und sich die Yacht, das Rennpferd und die Villa in Monaco leisten will, der wird im Migrationsrecht nicht glücklich. Doch man kann gut von der Arbeit leben, wirklich gut leben.

Warum würden Sie sich immer wieder dafür entscheiden, Anwältin in einer eigenen Kanzlei zu sein?

Das wichtigste für mich ist die Freiheit: Ich kann im Rahmen meiner wirtschaftlichen Notwendigkeiten frei entscheiden. Ich bin in der Einteilung meiner Arbeit und meiner Zeit wirklich frei. Zudem bin ich niemanden verpflichtet. Ich muss nicht irgendwelche Statistiken abliefern, um zu zeigen, dass ich ordentlich gearbeitet habe. Ich kann das machen, was ich für richtig halte. Die Freiheit, die man in einer eigenen Kanzlei hat, hat man sonst nirgendwo.